Ortlose Stille.

Landschaftsfotografien von Bernard Descamps und Andreas Walther


Ein Projekt der Stiftung Situation Kunst

Ausstellung im Museum unter Tage von Situation Kunst


Verlängert bis 14. Oktober 2021

 

In der Ausstellung werden Fotografien von Bernard Descamps (*1947) aus der Werkgruppe natura, die zwischen 1995 und 2019 unter anderem in Frankreich, Island, Japan, Madagaskar und Venezuela entstanden sind, in einen Dialog mit Arbeiten von Andreas Walther (*1971) gebracht, der sich ebenfalls der Fotografie von Landschaft widmet. Beide Künstler perspektivieren in ihren Werken auf ganz unterschiedliche Weise den Blick auf ‚Natur‘ als Landschaft.

 

Die Fotografien von Bernard Descamps muten wie klassische Landschaftsfotografie an und lassen sich in vier Werkgruppen gliedern: es finden sich lichtdurchflutete Ansichten von Himmel und Meer, massive Gebirgsformationen, dichte Wälder und Vogelschwärme, die den horizontlosen Bildraum durchmessen. Der erste Eindruck von elementarer Natürlichkeit wird jedoch untergraben, da die Motive in Schwarz-Weiß fotografiert und im quadratischen Klein- bis Mittelformat in Szene gesetzt wurden, eine für Landschaftsdarstellungen eher ungewöhnliche Wahl. Mittels dieser Formalisierung werden sie der direkten Zugänglichkeit im Sinne einer unmittelbaren Versenkung in die dargestellte Landschaft entrückt. Starke Hell-Dunkel-Kontraste arbeiten stattdessen die formalästhetischen Qualitäten der Motive heraus, seien es Felsstrukturen, Wasseroberflächen oder Flugformationen der Vögel am Himmel. Im Zusammenspiel mit der klein- bis mittelformatigen Bildgröße und der meist formatfüllenden Inszenierung des Motivs wird anstelle einer Überwältigung durch Monumentalisierung der Landschaft die genaue Betrachtung ihrer bildhaften Qualitäten eingefordert. Hier werden die im buchstäblichen Sinne pittoresken, bildhaften Strukturen der Landschaft akzentuiert, indem die Aufmerksamkeit auf Formen und Oberflächenstrukturen gelenkt wird. Descamps‘ Fotografien zeigen sich darüber hinaus menschenleer und meist ohne Anzeichen von Zivilisation. Genau in dieser illusorischen Unberührtheit reflektieren sie die Tatsache, dass in einer vollständig industrialisierten Welt ursprüngliche Natur nur noch in Form von Bildern in der kollektiven menschlichen Imagination existiert.

 

 


 

Andreas Walther künstlerischer Ansatz ist etwas anders gelagert. Nicht nur arbeitet Walther im Gegensatz zu Descamps mit einer Digitalkamera, auch nutzt er ganz entschieden die Möglichkeiten der digitalen Weiterbearbeitung. Stellt Descamps die Formen und Oberflächenstrukturen der Landschaftselemente fotografisch heraus und deutet damit ihr Abstraktionspotenzial an, zeichnen sich Walthers Fotografien durch eine noch deutlichere Gestaltungsneigung aus. Aus einer kunstgeschichtlich geprägten Sicht erscheint diese Tendenz zur beinahe malerisch inspirierten Abstraktion wie das Nachdenken über die Umwandlung von Natur zu Landschaft im Medium der Fotografie. Bei den Werken, die zunächst ganz schwarz anmuten oder auch die Fotografien grauer Mauern, erschließt sich das Motiv erst durch geduldiges Schauen, so dass der Prozess der Wahrnehmung thematisch wird. Ist Natur gleichsam der Rohstoff, die Ressource, die sich dem Blick des Menschen eröffnet, wird sie in der Betrachtung und Benennung zu Landschaft, um dann als solche in all ihren Aspekten reflektiert werden zu können.

Beeinflusst von der Philosophie des Daoismus ist Walthers Naturbegriff nicht unbedingt als Kontrast zur Landschaft zu verstehen. Natur meint in diesem Kontext eine Art Resonanzraum, in dem die Energien aller Lebewesen aufeinander reagieren. Walther nutzt die Möglichkeiten der Nachbearbeitung, um die ganz eigene Wirklichkeit des Bildes jener Empfindungswirklichkeit anzunähern, die Auslöser für die Entscheidung war, den Ort im entsprechenden Moment zu fotografieren. Descamps‘ Werken vergleichbar, sieht man sich auch hier Landschaften gegenüber, die weder einem konkreten Ort noch einer konkreten Zeit zuzuordnen sind.

Der vielschichtige Prozess der Wahrnehmung von Natur und Landschaft beschäftigt beide Künstler. Descamps und Walther interpretieren die vorgefundene ‚Natur‘ mittels ihrer je spezifischen Art und Weise der fotografischen Arbeit und machen so darauf aufmerksam, dass Natur im postindustriellen Zeitalter letztlich vor allem ein Produkt der menschlichen Vorstellung ist.

Bernard Descamps, geboren 1947 in Paris, arbeitet seit den 1970er Jahren als Fotograf. Mit der ersten Veröffentlichung seiner Fotografien in der schweizerischen Fachzeitschrift Camera durch Alan Porter nahm seine künstlerische Laufbahn ihren Anfang und bereits 1976 war Descamps in der wegweisenden Ausstellung Photographie als Kunst – Kunst als Photographie in Kassel vertreten. Internationale Ausstellungen dokumentieren seither sein Schaffen. Er hat zahlreiche Künstlerbücher veröffentlicht und fotografierte für renommierte Magazine wie Geo.

Andreas Walter wurde 1971 in Gießen geboren. Er studierte an den Kunsthochschulen in Bremen und Köln Experimentalfilm und Medienkunst sowie in Taiwan die chinesische Sprache. Seither prägt die Auseinandersetzung mit fernöstlicher Kultur und daoistischer Philosophie seine künstlerische Arbeit ebenso wie Medientheorien und Wahrnehmungsphilosophie. Beginnend im Jahr 2000 sind Walthers Fotografien in Einzel- und Gruppenausstellungen in Taiwan und Deutschland vertreten.

Kurz nach Eröffnug der Ausstellung haben wir mit Andreas Walther ein Gespräch aufgezeichnet, daß Sie hier ansehen können.

Die Ausstellung, die sich im Wesentlichen aus Leihgaben der Künstler und Werkbeständen aus einer Schenkung Descamps an die Stiftung Situation Kunst zusammensetzt, wird im Rahmen des Möglichen von einem Veranstaltungsprogramm begleitet, das die Fotografien in einem größeren Kontext verortet. So hält Stefan Schweiger (Institut für Landschaftsökologie, RUB) demnächst einen Vortrag mit dem Titel "Erscheinungen der Natur in einer total verwalteten Welt". In Planung sind auch Vorträge zur Geschichte der Landschaftsfotografie, Lesungen aus Publikationen des „nature writing“, Themenführungen durch die Ausstellung und musikalische Veranstaltungen.

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Publikationen
Zur Ausstellung erscheint die von Bernard Descamps gestaltete Monografie natura in deutscher und französischer Sprache bei Filigranes Editions Paris, mit einem Text von Maria Spiegel (Hardcover, 160 Seiten, 73 Abbildungen, 24 €, erm. 20 €, für RUB-Studierende 18 €). Außerdem erhältlich ist die Monografie Andreas Walther: Vom Wandern im Offenen, 2019 erschienen im Kerber Verlag (Hardcover, 103 Seiten, 37 Abbildungen, Museumspreis 30 €, erm. 28 €, für RUB-Studierende 24 €; beide erhältlich im Museum unter Tage).


Begleitprogramm

Ausstellungsflyer zum Download


Reprofähige Abbildungen

 



Ausgewählte Presseberichte

 


Gießener Allgemeine 20.11.2020

CT- Das Radio 12.03.2021

WAZ 20.03.2021

Westfälischer Anzeiger 26.05.2021

trailer 22.09.2021