Licht, Form, Stimmung

Doppelvortrag Prof. Dr. Kerstin Thomas | Johanna von Monkiewitsch

Mittwoch, 12. Juni 2024, 18–20 Uhr, Foyer Museum unter Tage

Einführung und Moderation: Dr. Maria Bremer

 

Prof. Dr. Kerstin Thomas, „Le bonheur de vivre – Stimmung als Medium des Lebensglücks in der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts“

Glück greift zumeist aufs Grundsätzliche aus und unterscheidet sich insofern von den kleinen Formen rein privater und momentaner Emotionen. Als Thema der Malerei tritt Glück sogar als Modus des grundlegenden Lebensbezugs auf: In der französischen Malerei etwa im Bildthema des „bonheur de vivre“, ein Begriff, den man mit „das Glück des Lebens“, oder „das Glück zu Leben“ übersetzen kann. Bezogen auf die Kunst würde dies bedeuten, „das gute Lebensgefühl“ zum Ausdruck zu bringen. Um eine solch grundlegende Zuständlichkeit auszudrücken, reichen Mittel der Affektdarstellung nicht aus, zumal diese stets auf den Bereich der privaten Gefühle begrenzt bleiben. Anhand unterschiedlicher Beispiele aus der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts untersucht der Vortrag verschiedene Modi der Darstellung von Lebensglück und zeigt, wie die Künstlerinnen und Künstler dieses als überindividuelle Stimmung entwerfen. Stimmung wird dabei nicht allein als Inhalt oder Motiv der Darstellung aufgefasst. Vielmehr wird analysiert, wie Licht, Farben und Formen eingesetzt werden, um Stimmung zu evozieren, die als eine über den Bereich des Persönlichen hinausgehende Befindlichkeit verstanden werden kann. Denn Stimmung ist – anders als das individuelle Gefühl – eine relationale Befindlichkeit, die zwischen Menschen oder Dingen herrscht, also auch zwischen Bild und Betrachtenden. Stimmung ist somit Gradmesser der Befindlichkeit einer Gemeinschaft. Das Lebensglück wird in der Stimmungsmalerei einem so umfassenden Zustand wie einem gemeinschaftlichen Lebensgefühl vergleichbar. Durch die Mittel der Kunst erhält das in der ästhetischen Stimmung beschworene Lebensglück eine soziale Dimension und kann gemeinschaftsbildend wirken.

 

Johanna von Monkiewitsch, „Eines Nachmittags / 14:24-14:57“

Johanna von Monkiewitsch leitet ihre Arbeit überwiegend aus Alltagssituationen ab und übersetzt diese in komplexe Werkssysteme. Dabei verfolgt sie einen sinnesorientierten Ansatz: Naturphänomene wie Licht oder Wind werden mit Materialien wie Schaumstoff, Marmor oder Salz kombiniert und in Beziehung zum Körper der Betrachtenden gesetzt. In ihrer Präsentation wird die Künstlerin einen umfassenden Einblick in ihre Vorgehensweise geben und anschließend durch ihre im Museum unter Tage ausgestellte Installation „Eines Nachmittags / 14:24-14:57“ führen.

Die Auflösung des Körperlichen sowie umgekehrt das Formwerden von Immateriellem sind ebenso zentrale Themen ihrer Arbeit wie die optische Täuschung und das freie, experimentelle Erstellen von raumgreifenden Installationen und Objekten sowie das Festhalten flüchtiger, ephemerer Spuren. Ein Fokus wird auf der Simplizität der angewendeten Mittel und auf der Auflösung der Grenzen zwischen den künstlerischen Medien liegen. Dieser Aspekt findet sich zum Beispiel verstärkt in Johanna von Monkiewitschs gefalteten Papierarbeiten wieder: Durch die vorgenommene Falzung wird die Fotografie selbst zu dem Objekt, das sie abbildet; ihr Status oszilliert somit zwischen Bild und Objekt.

Die für das Museum unter Tage realisierte Installation hingegen kombiniert zweimal denselben Film eines wandernden Sonnenlichtfeldes und seiner besonderen Stimmung mit zwei etwa gleichformatigen Schaumstoffblöcken. Das Licht scheint dabei das Material aufzulösen oder es zu zerschneiden, während der Schaumstoff dem Licht wiederum eine spezifische, scheinbare Körperlichkeit verleiht.

 

 

Prof. Dr. Kerstin Thomas ist seit April 2016 Professorin für Kunst der Moderne am Institut für Kunstgeschichte der Universität Stuttgart. Sie ist seit 2022 erste Vorsitzende des Deutschen Verbands für Kunstgeschichte. Kerstin Thomas studierte Kunstgeschichte, Philosophie und Klassische Archäologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main, wo sie 2006 promoviert wurde mit einer Arbeit zur Stimmung in der französischen Malerei des späten 19. Jahrhunderts. Sie war zwischen 2006 und 2009 wissenschaftliche Assistentin am Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris und leitete von 2010 bis 2018 die Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe: Form und Emotion. Affektive Strukturen in der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts und ihre soziale Geltung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Universität Stuttgart. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die französische Kunst und Kunsttheorie des 19. Jh.; Form- und Ausdruckskonzepte in Kunst, Ästhetik und Wissenschaft der Moderne sowie emotionstheoretische Bildkonzepte. Sie hat zwei Monographien und verschiedene Aufsätze zur Stimmung als ästhetischer Theorie und künstlerischer Praxis publiziert sowie zu verwandten Phänomenen, wie Atmosphäre, Traum, und dem ästhetisch Unbestimmten.

 

Johanna von Monkiewitsch, 1979 in Rom geboren, hat ihr Studium 2007 mit dem Meisterschülerinnentitel bei Heinz-Günter Prager an der HBK Braunschweig abgeschlossen. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem durch Förderungen der Stiftung Kunstfonds, das Stipendium des Deutschen Studienzentrums in Venedig, das Bremerhavenstipendium und das Atelierstipendium des Kölnischen Kunstvereins. Ihre teils raumgreifenden Installationen werden international in Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt. Diese waren unter anderem im Kunstmuseum Bonn, in der Fondation CAB in Brüssel, im Kunstpalast Düsseldorf, im Museum PEAC Freiburg, bei der Fresh Paint in Tel Aviv, im Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt, im Museo Ca’ Rezzonico zur Biennale in Venedig, im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg sowie in einer Einzelausstellung im Leopold-Hoesch-Museum in Düren und einer Duo-Ausstellung im Museum Morsbroich in Leverkusen zu sehen. Ihre ortspezifisch konzipierte Arbeit „Eines Nachmittags / 14:24-14:57“ ist aktuell Teil der Wechselausstellung Glückliche Tage im Museum unter Tage in Bochum.